Linguisten unter sich - Die GGS 2004

Vom 21.-23. Mai fand die diesjährige GGS-Tagung (Generative Grammatik des Südens) statt. Die generativen Sprachwissenschaftler trafen sich diesmal im Institut für deutsche Sprache in Mannheim und der Fachschaftsrat Allgemeine Sprachwissenschaft hatte beschlossen, sich das ganze einmal persönlich anzuschauen. Wir hatten uns damit bewußt für die GGS und gegen die zeitgleich stattfindende StuTS (Studentische Tagung für Sprachwissenschaft) in Leipzig entschieden, die doch (zumindest bei ihrem Webauftritt) etwas unorganisiert wirkte. Auf unseren Aufruf in der Studierendenschaft, wer uns denn begleiten möchte, kam jedoch nur wenig Resonanz, so daß das Verhältnis Fachschaftsräte/normale Studenten im Endeffekt immer noch 7:5 betrug.

Donnerstag, 20. Mai 2004, 16.25. Nach einigem Warten auf den letzten Fahrer - samt Auto - verteilen wir uns auf die drei Wagen und fahren gen Mannheim. Schon auf der Hinfahrt entdecken wir, was viele Menschen schon lange gesucht haben: Sinn.
Das Auto, in dem ich mich befinde, verfügt leider nur über Impulsantrieb und außerdem gibt das Navigationssystem gegen Ende der Fahrt plötzlich widersprüchliche bis sinnlose Anweisungen, was darin resultiert, daß wir als letzte bei der vorab angemieteten "Pension Arabella" ankommen. Erschüttert stellen wir fest, daß die Mannheimer Innenstadt nicht nur in Quadrate eingeteilt ist und scheinbar aus nichts als Einbahnstraßen besteht, sondern daß leider auch überall Halteverbot für Nicht-Anwohner gilt. Während die Fahrer also nach einer kostenlosen Parkmöglichkeit suchen, machen wir uns auf nach R5, wo das Institut für Deutsche Sprache seinen Sitz haben soll. Anfangs sind wir dabei durch das seltsame Quadratsystem Mannheims recht irritiert. Die Mannheimer Innenstadt ist - ähnlich wie z.B. New York - rechteckig angelegt, wobei jedem Planquadrat ein Block entspricht. Um ein bestimmtes Gebäude zu finden, von dem man nur die Koordinaten kennt, muß man also möglicherweise einmal den kompletten Block umrunden. So ging es auch uns, doch schließlich war unsere Suche von Erfolg gekrönt und wir fanden das IDS, das an diesem Feiertag leider geschlossen war, allerdings schon deutlich auf den Beginn der morgigen GGS hinwies.

Das Ankündigungsplakat
Klar und deutlich wird auf die GGS-Veranstaltung hingewiesen.

Freitag, 21. Mai 2004, 9.15. Pünktlich zur Begrüßung finden wir uns im IDS ein. Was vorher nur vermutet wurde, wird nun zur Gewißheit: Wir sind offenbar die einzigen Anwesenden, die nicht gleichzeitig Vortragende sind. *schluck* Das Programm hat sich, seit wir es am Donnerstag aus dem Internet ausgedruckt haben, schon mehrfach geändert. Einige Vortragende konnten leider doch nicht kommen, einige haben sich kurzfristig entschieden, doch lieber über etwas anderes zu reden und einer beginnt seinen Vortrag sogar mit folgenden Worten: "Eigentlich wollte ich heute über Fortbewegungsverben reden. Ich hatte auch eine wunderschöne, ausgefeilte Theorie dazu. Leider hat sich vorgestern herausgestellt, daß sie falsch ist. Daher rede ich jetzt über etwas ganz anderes." Daraus ergibt sich, daß an diesem Tag statt 12 Vorträgen nur 10 gehalten werden, unterbrochen von zahlreichen Kaffeepausen und einer längeren Mittagspause, wobei man sich das Essen allerdings selbst organisieren muß. Die Vorträge decken ein breites Themenspektrum ab - glauben wir, denn der Großteil der Ausführungen liegt dann doch um einiges über unserem Horizont. Um so mehr freut man sich, wenn man zwischendurch mal etwas versteht. Hinzu kommt, daß die "Generative Grammatik des Südens" ihrem Namen alle Ehre macht. Nahezu alle Referenten bedienen sich zur Illustration ihrer Beispiele des CP/IP-Modells, und auch wenn ich mit diesem nicht sonderlich vertraut bin, so habe ich doch den starken Verdacht, daß mehr als ein Vortragender hier neue Kategorien erfunden hat, um seine Theorien zu rechtfertigen.
In der Mittagspause gab es nun die erste Gelegenheit, die Stadt zu erkunden. Auf dem Weg zur Innenstadt fällt gleich auf, daß das Quadratesystem leider nicht so konsequent durchgezogen wurde, wie es wünschenswert gewesen wäre. So stolpert man mitten zwischen M- und L-Quadraten plötzlich über solche, die A und B heißen. Aber auch das kann uns nicht lange aufhalten. In der Fußgängerzone angekommen, merkt man sogleich, daß Mannheim eine sehr sichere Stadt ist, denn allüberall sieht man Polizisten. Die bezeichnendste Szene ist vielleicht die als jemand bei Rot über eine Fußgängerampel geht und sofort von einem vorbeifahrenden Streifenwagen per Lautsprecher zurechtgewiesen wird. Dieses Gefühl der (inneren) Sicherheit verläßt uns auch an den folgenden Tagen nicht. Was sich hingegen ändert ist, daß an den drei Nicht-Werktagen unseres Aufenthaltes echtes Kleinstadt-Feeling aufkommt. Pünktlich um acht Uhr am Freitagabend klappen die Einwohner ihre Bürgersteige hoch, so daß wir am Sonntag beispielsweise den Bäcker, bei dem wir ein Frühstück erstehen wollen, verschlossen vorfinden und gezwungenermaßen auf Fast Food ausweichen müssen (die goldenen Bögen haben zum Glück auch hier kosmopolite Öffnungszeiten). Weitere Indizien sind Supermarkttüren, die uns um 18 Uhr vor der Nase zugeschlagen werden und das schmerzliche Fehlen der ruhrgebietstypischen Buden, die einige schon am Anreisetag (Christi Himmelfahrt) dazu veranlassen zum Alkoholeinkauf bis zum weit entfernten Hauptbahnhof zu pilgern.

Samstag, 22. Mai 2004. Der erste Tagungstag hat seine Spuren hinterlassen. Die Reihen des Publikums haben sich schon merklich gelichtet. Auch der Schreiber dieser Zeilen beschließt, den Vormittag lieber auf eine Besichtigung Mannheims zu verwenden. Als ich am Schloß ankomme, muß dieser Enthusiasmus allerdings einen jähen Dämpfer erfahren, da von baulicher Schönheit hier nun wirklich nicht mehr gesprochen werden kann.

Das Mannheimer Schloß/ss
Der nachreformatorischen Unsicherheit (heißt es nun "Schloß" oder "Schloss"?)
begegnen die Mannheimer mit einem Trick: Die Schreibung von "Baustelle" wurde
ja definitiv nicht verändert.


Pünktlich nach der Mittagspause finde ich mich wieder im IDS ein. Eigentlich sogar schon während der Mittagspause, da ich gehofft hatte, noch einige Zeit in der gut ausgestatteten Bibliothek verbringen zu können. Doch diese hat Samstags leider geschlossen und sogar der Zutritt zum IDS selbst gelingt mir nur unter großer Anstrengung, da alle Türen über Mittag vorsorglich verschlossen sind. Zum Glück läßt eine barmherzige Seele mich herein. Die nachmittäglichen Vorträge werden von Werner Abraham eröffnet, dem es gelingt mit Hilfe mehrerer Handouts mit den Seitenzahlen 2-13 und 15-16 und dem Thema "Topic, focus, and default vs. contrastive accent: drawing typological differences" alle Zuhörer gründlich zu verwirren. Besonders erfolgreich erweist sich hierbei der Trick, die Struktur des Handouts völlig zu ignorieren und stattdessen furios von hier nach dort und wieder zurück zu springen. Später schafft es der Ruhr-Uni-eigene Tibor Kiss, eine fünfminütige Pause zu erwirken, während derer er sich per Handy die Ergebnisse des letzten Spieltags der Fußball-Bundesliga durchgeben läßt. Diese schreibt er dann an die Tafel des Tagungsraumes, was einige der Anwesenden in schwere Depressionen zu stürzen scheint. Zum krönenden Abschluß dieses Tages trägt dann noch Günther Grewendorf etwas über Remnant-Movement vor, das auch durch die Tatsache, daß er doppelt so lange spricht wie alle anderen, nicht an Klarheit gewinnt - zumindest nicht bei mir. Zum Glück gibt es hernach eine feine Linguisten-Party in den Räumen des IDS, bei der Jazz gespielt, viel getrunken und über die Themen der Vorträge diskutiert wird.

Sonntag, 23. Mai 2004. Am Sonntag ist bei vielen die linguistische Gehirnhälfte endgültig überfordert. Während einige wenige auch hier noch das komplette Programm anschauen, verpasse ich mit 3 anderen Bochumer Linguisten dank des oben beschriebenen Bäckermangels den Anfang und so beschließen wir spontan einfach schon ein paar Stunden früher abzureisen. Auf unserer Rückreise kehren wir noch in einem schnuckeligen hessischen Dorf (seltsamerweise kann sich keiner der Mitfahrer mehr genau erinnern, aber wir vermuten, daß es sich um Wetzlar handelte) ein, wo wir uns auf der Suche nach einem Fast Food-Restaurant gründlich verfahren und dabei vermutlich den kompletten Ort zu Gesicht bekommen. Erschöpft, aber um viele, nicht nur linguistische, Erfahrungen reicher, sind wir ziemlich genau 72 Stunden nachdem wir zur GGS aufgebrochen waren wieder in Bochum.



Addendum: Meines Wissens hat sich niemand getraut, sich "Sprachliches Wissen" von den anwesenden Autoren Günther Grewendorf und Wolfgang Sternefeld signieren zu lassen, obwohl es zumindest einer durchaus vorhatte.



Dieser Erlebnisbericht wurde bereits in der Gezeit Nr.12 im Juli 2004 veröffentlicht. Die Version von Blutiges Gemetzel wurde vom Autor leicht überarbeitet und wieder in die gute, alte Rechtschreibung transferiert.


[Kreetrapper - 01.07.2004]